Forschungsfelder

Diagnostik und neue Therapieansätze

Der VDGH sprach mit dem renommierten Alzheimer-Forscher Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther. Der Molekularbiologe ist u.a. Gründungsdirektor des Netzwerkes AlternsfoRschung (NAR) an der Universität Heidelberg.

Beyreuther

Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Beyreuther

VDGH: Was ist Alzheimer?
Beyreuther: "Die Alzheimer Krankheit (AK) ist mit 70 bis 80 Prozent die häufigste Demenzerkrankung. Erste Symptome treten 25 bis 30 Jahre nach Beginn des Krankheitsprozesses auf und betreffen das Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses, der Merkfähigkeit, gefolgt vom schleichenden Verlust der erworbenen kognitiven Fähigkeiten. Charakteristisch für die AK sind die Ablagerung von Aß Amyloid in Form von amyloiden Plaques im grauen Gehirngewebe und vaskulärem Amyloid in den Blutgefäßen des Gehirns und des mikrotubulären Proteins tau in Form von Neurofibrillenbündeln in Nervenzellen. Aß Amyloid besteht aus aggregierten Aß42 und Aß40 Peptiden. Beides sind Abbauprodukte des Amyloid Precursor Proteins (APP). Die daran beteiligten Proteasen werden als ß-Sekretase und γ-Sektretase bezeichnet. Einige Mutationen im APP Gen und in der γ-Sektretase Untereinheit Presenilin1 oder 2 verursachen die sehr seltene präsenile Form der AK (ca. 0.1% der Fälle)."

VDGH: Es gibt bislang weder eine Therapie noch eine Heilung von Alzheimer – warum nicht?

Beyreuther: "Das Problem liegt im massiven Untergang von Nervenzellen und Nervenzellkontakten. Dieser macht sich bereits fünf Jahre vor Ausbruch der Krankheit bemerkbar und ist als Anstieg von tau im Liquor nachweisbar. Zum Zeitpunkt der ersten möglichen klinischen Diagnose, dem leichten Stadium der AK, sind bereits bis zu 60 Prozent der Nervenzellen in bestimmten Bereichen des Gehirns untergegangen. Im mittelschweren und schweren Stadium sind es 90 Prozent und mehr. Es  gilt: Leere Gehirne sind nicht therapierbar."

VDGH: Was macht die Forschung bei Alzheimer so schwierig?
Beyreuther: "Trotz intensiver Bemühung ist noch nicht im Detail bekannt, was den Nervenzelluntergang auslöst. Besonders erschwerend ist, dass die meisten Tiermodelle der AK keinen Nervenzelluntergang zeigen. Es gibt jedoch immer mehr Hinweise darauf, dass die Anhäufung von Aß42 im Gehirn damit im Zusammenhang steht. Erst kürzlich wurde in Island gefunden, dass Menschen mit einer protektiven Mutation im APP Gen – die Freisetzung von Aß42 ist auf mehr als die Hälfte reduziert – viel seltener erkranken und bis ins hohe Lebensalter kognitiv uneingeschränkt im Vergleich zur Normalbevölkerung sind."

VDGH: In welche Richtung geht die aktuelle Forschung und welche Ansätze scheinen am erfolgversprechendsten?

Beyreuther: "Angesichts des zum Zeitpunkt der Diagnose der AK bereits stattgefundenen massiven Nervenzelluntergangs liegt derzeit das Hauptaugenmerk der Forschung auf einer möglichst frühzeitigen medikamentösen und nichtmedikamentösen Intervention. Versucht wird einerseits, die Progression der Aß42 Amyloidpathologie zu verlangsamen oder zu stoppen und andererseits, die Bildung neuer Nervenzellkontakte zu stimulieren. Ersteres könnte mit nebenwirkungsreduzierten aktiven oder passiven Impfungen gegen Aß42 gelingen oder mit Sekretase Hemmstoffen. Für Letzteres, die Stimulierung neuer Nervenzellkontakte, bieten sich nichtmedikamentöse Therapien an wie Bewegung gekoppelt mit geistiger Anregung, Musiktherapie und möglicherweise Medikamente, die bei Depression eingesetzt werden."

VDGH: Welche Rolle spielen dabei die Lebenswissenschaften?
Beyreuther: "Demenzforschung ist ohne interdisziplinäres Vorgehen schlicht nicht möglich. Deren Komplexität erfordert das Anwenden von Methoden der Biologie, Neurobiologie, Genetik, Medizin, Biomedizin, Biochemie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Biophysik, Bioinformatik und Epidemiologie. So gelang die Identifizierung von APP erst, nachdem durch Microsequenzierung von George Glenner und uns die Sequenz des menschlichen Aß Peptids bestimmt wurde. Mit der Kenntnis der Aß Sequenz gelang es dann mittels reverser Genetik, die cDNA Sequenz von APP zu ermitteln. Darauf wiederum aufbauend gelang es, synthetisches Amyloid herzustellen, Zell- und Tiermodelle der Amyloid- und tau-Pathologie zu etablieren und viele Details der Amyloid- und Neufibrillenentstehung und deren möglicher Inhibition aufzuklären. Einen ganz wichtigen Beitrag leistete die Humangenetik. Sie lieferte Informationen zur kausalen Bedeutung der Amyloidpathologie bei der AK."

VDGH: Wieviele Forscher arbeiten in Deutschland auf dem Gebiet? Könnten es mehr sein? Wo stehen wir im weltweiten Vergleich?
Beyreuther: "Weltweit kommt ein Alzheimer Forscher auf 1200 Patienten mit AK. Ich schätze, dass dieses Verhältnis in Deutschland noch nicht erreicht wurde. Mit der Gründung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) im April 2009 sind jedoch die Weichen dafür gestellt, dass wir dies in Kürze erreichen werden. Das DZNE ist weltweit einmalig und wird, wenn es seine Arbeit voll aufgenommen hat, den bereits beachtlichen deutschen Beitrag zur Alzheimer Forschung wesentlich verstärken."

VDGH: Welche Rolle spielt das Labor bei der Diagnose und Therapieüberwachung?
Beyreuther: "In der jüngsten Vergangenheit sind besonders große Fortschritte bei der Diagnose der AK erreicht worden. Bereits 25 Jahre vor Beginn der Symptome ist im menschlichen Liquor die Aggregation von Aß42 als eine Absenkung der Konzentration von Aß42 nachweisbar. Aß42 Ablagerungen in Form von Plaques können mittels Positronen Emissions Tomographie (PET) etwa 15 Jahre vor dem erwarteten Beginn der Symptome detektiert werden. Der Nervenzelluntergang wird etwa 5 Jahre vor den Symptomen durch die Erhöhung der tau Konzentration im Liquor bestimmbar. Dies ist von größter Bedeutung für die Selektion von Patienten in Frühstadien der AK und Patienten, die in Kürze erkranken werden, und für die Therapieüberwachung. Bei allen drei derzeit geplanten Impfstudien werden diese Methode eingesetzt (Garber K (2012) Nature Biotech 30, 731-732)."

VDGH: Was kann die LSR (Life Science Research) beim Kampf gegen Alzheimer leisten?
Beyreuther: "Ich sehe deren Bedeutung in dem für alle Forscher und Ärzte höchst wichtigen allgemeinen Zugang zu „Enabling Technologies“ auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften, insbesondere für die Grundlagenforschung, Diagnostik und Therapieforschung."

VDGH: Welche Rolle spielt die Prävention und: was kann man selbst tun?
Beyreuther: "Wie in Assoziationsstudien und mit Tiermodellen gezeigt werden konnte, sind Bewegung, geistige Anregungen, Stress abbauen und ein gesunder Schlaf besonders vielsprechende präventive Maßnahmen, die auch für Patienten in Anfangsstadien der AK geeignet sein könnten. Obwohl es allgemein bekannt sein sollte, ist das Detail erwähnenswert, dass Bewegung neue Muskelfasern bildet. Diese müssen unserer Entscheidung unterstellt werden, ans „Nervensystem angehängt werden“. Tatsächlich wurde ein Anstieg des Nervenwachstumsfaktors BDNF im Blut von Menschen mit regelmäßiger körperlicher Aktivität beobachtet. BDNF stimuliert die Bildung neuer neuromuskulärer Verschaltungen. Das Gleiche muss auch im Gehirn erfolgen, um die neuen Muskelfasern beim Treppensteigen, Tanzen, Radfahren, Laufen, für was auch immer, unter unserer Kontrolle zu halten. Auch im Gehirn steigt deshalb die Menge an neugebildeten Nervenwachs-tumsfaktoren bei regelmäßiger Bewegung an, wie im Tierexperiment gezeigt wurde. Wird Bewegung mit geistiger Anregung kombiniert (dual task), wie es beim Spazierengehen mit gleichzeitiger angeregter Unterhaltung der Fall ist, wird das Ganze noch verstärkt. Mittlerweile konnte sogar nachgewiesen werden, dass Menschen, die sich fünf Mal die Woche mindestens eine halbe Stunde bewegen, bei kognitiven Tests besser abschneiden als bewegungsarme Menschen. Mittels Amyloid-PET konnte auch gezeigt werden, dass die Aktiven weniger Amyloidablagerungen im Gehirn aufweisen als gleichaltrige Inaktive. Gleiches gilt auch für Menschen mit ausreichend gesundem Schlaf (sieben Stunden pro vierundzwanzig Stunden) im Vergleich zu solchen, die zu lange (neun Stunden oder mehr pro vierundzwanzig Stunden) oder zu kurz schlafen (fünf Stunden oder weniger pro vierundzwanzig Stunden). Auch Musik ist therapeutisch von Interesse. Rezipierte Musik aktiviert unter anderem auch das Bewegungszentrum, den Motorkortex, und stimuliert die Bildung von Nervenwachstumsfaktoren."

VDGH: Wo werden wir mit der Alzheimer-Forschung in zehn Jahren stehen?
Erstens werden wir dann wissen, ob es möglich ist, den Amyloidprozess und die Progression der AK zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Zweitens wird vermutlich auch die medikamentöse und nichtmedikamentöse Rehabilitationsforschung  präzise Hinweise aufzeigen, wie dann am effektivsten der Nervenzellverlust kompensiert werden kann."


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